BAG: Fristlose Kündigung nach offener Videoüberwachung?
Arbeitgeber dürfen Aufnahmen aus einer rechtmäßigen und offenen Videoüberwachung nutzen, um dem Verdacht von Straftaten ihrer Mitarbeiter nachzugehen. Die Aufzeichnungen müssen dafür nicht sofort ausgewertet werden, sondern der Arbeitgeber darf damit bis zu einem berechtigten Anlass warten. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Der Betreiber eines Tabak- und Zeitschriftenhandels hatte bei einer stichprobenartigen Ermittlung der Warenbestände einen Schwund an Tabakprodukten festgestellt und daraufhin die Aufzeichnungen der in der Filiale offen installierten Videokamera für zwei sechs Monate zurückliegende Arbeitstage einer Verkäuferin ausgewertet, gegen die er einen Verdacht hegte. Bei der Auswertung stellte er fest, dass die Arbeitnehmerin an beiden Tagen beim Verkauf vereinnahmte Gelder nicht in die Registrierkasse gelegt hatte. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos „wegen begangener Straftaten“. Die Arbeitnehmerin klagte gegen die Kündigung, weil die Auswertung der weit zurückliegenden Videosequenzen aus ihrer Sicht unzulässig war. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) entschieden im Sinne der Arbeitnehmerin. Für das LAG ergab sich ein Beweisverwertungsverbot daraus, dass der Arbeitgeber die Videoaufnahmen für die betreffenden Tage erst knapp sechs Monate später und damit zu einem Zeitpunkt ausgewertet habe, zu dem er sie gemäß § 6b Absatz 5 Bundesdatenschutzgesetz alter Fassung längst hätte gelöscht haben müssen. In dem monatelangen Unterbleiben der Löschung lag aus Sicht des LAG eine besonders schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmerin.
Diese Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (Urteil vom 23. August 2018, Aktenzeichen 2 AZR 133/18). Das BAG verwies darauf, dass die Erlaubnis zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses aus § 32 Absatz 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz alter Fassung (BDSG a. F.) eine eigenständige Erlaubnisnorm darstellt und gegenüber der Vorschrift des § 6b BDSG a. F. spezieller ist.
Die Speicherung von Videosequenzen dürfe somit so lange erfolgen, bis der Zweck entweder erreicht, aufgegeben oder nicht mehr erreichbar ist. Bei einer rechtmäßigen, offenen Videoüberwachung wäre die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen also zulässig gewesen und hätte dementsprechend nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin verletzt. Der Arbeitgeber musste das Bildmaterial laut BAG nicht sofort auswerten, sondern durfte hiermit solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Da das BAG nicht abschließend entscheiden konnte, ob die erfolgte offene Videoüberwachung rechtmäßig war, verwies es den Fall zurück an das LAG.
VAA-Praxistipp
Das Bundesarbeitsgericht hat mit der Entscheidung seine bestehende Rechtsprechung präzisiert und klargestellt, dass die Speicherung von Videoaufnahmen auch über einen längeren Zeitraum zulässig ist, um strafbares Verhalten von Mitarbeitern aufzudecken und zu vermeiden. Zwar hat das BAG sein Urteil noch auf der Grundlage des alten Datenschutzrechts getroffen, zugleich aber betont, dass bei einer rechtmäßig erfolgten Videoüberwachung auch die Vorschriften der seit dem 25. Mai 2018 anzuwendenden Datenschutz-Grundverordnung einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten nicht entgegenstehen würden.