Repräsentative Umfrage der EAF Berlin
Frauen sind in der Kommunalpolitik massiv unterrepräsentiert
Fünf Jahre nach ihrer Studie „Frauen führen Kommunen“ hat die EAF Berlin in Partnerschaft mit der Zeitschrift KOMMUNAL die bisher größte Umfrage in Deutschland zu Frauen in kommunalpolitischen Führungspositionen vorgelegt. Neben der Situation von Frauen und Männern in der Kommune beleuchtet die Umfrage auch die Meinung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zum Stand der Deutschen Einheit.
30 Jahre Deutsche Einheit hat die EAF Berlin erneut zum Anlass genommen, um einen differenzierten Blick auf Bürgermeister*innen in Deutschland zu richten: Wie bewerten sie den Stand der Deutschen Einheit? Was sind heute die größten Herausforderungen, vor denen sie stehen? Und wie ist das Geschlechterverhältnis an der Spitze der Rathäuser?
Zu diesen Fragen hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der EAF Berlin und in Partnerschaft mit der Zeitschrift Kommunal im September 2020 eine repräsentative Befragung unter insgesamt 1.100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Gemeinden mit mindestens 1.000 Einwohner*innen im gesamten Bundesgebiet durchgeführt.
Die EAF Berlin schließt damit an ihre Studie „Frauen führen Kommunen“ an, welche sie 2014 mit Blick auf den 25. Jahrestag der Deutschen Einheit geführt hatte. Neben der Auswertung der statistischen Daten wurden Interviews mit Bürgermeister*innen in Ost- und Westdeutschland durchgeführt, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu untersuchen – zwischen Ost und West sowie zwischen Frauen und Männern. Der Fokus der vorliegenden Studie ist ebenfalls auf diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten gerichtet.
Hinsichtlich der Meinungen zum Stand der Deutschen Einheit herrscht insgesamt große Übereinstimmung. Nahezu alle Bürgermeister*innen in Ost und West (96 %) sind der Ansicht, dass die Bevölkerung alles in allem stolz darauf sein kann, was bei der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland bislang erreicht wurde. Sie sind sich aber auch überwiegend (74 %) darin einig, dass es auch heute noch spezifisch ostdeutsche Probleme gibt, die diskutiert und gelöst werden müssen. Doch es sind insbesondere die Bürgermeister*innen ostdeutscher Gemeinden der Meinung, dass die Erfahrungen der Menschen in Ostdeutschland im wiedervereinigten Deutschland zu wenig aufgegriffen wurden.
Die größten Probleme der Städte und Gemeinden sind fehlende finanzielle Ressourcen (54 %), im Osten Deutschlands ist dies noch stärker ausgeprägt als im Westen. Die Corona-Pandemie ist für jede fünfte westdeutsche Gemeinde eins der größten aktuellen Probleme, das trifft im Vergleich nur auf knapp jede zehnte ostdeutsche Gemeinde zu. Während Bürgermeister*innen im Osten stärker über Bürokratie und Überregulierung (19 %) klagen, liegt im Westen eins der größten Probleme in den fehlen Kinderbetreuungsplätzen (18 %). Zwar haben sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in Westdeutschland die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert, doch die Versorgung mit Einrichtungen frühkindlicher Bildung ist insbesondere für unter 3-Jährige im Osten wesentlich stärker ausgebaut als im Westen. Dass der Bedarf höher liegt, zeigen auch die Ergebnisse dieser Befragung. Das ist auch insofern von Bedeutung, als dass es verdeutlicht, dass das Thema Familie und Kinderbetreuung von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist, welche nicht zuletzt in der Corona-Pandemie wieder unterschätzt und häufig ignoriert wurde. Bezüglich des Anteils von Frauen und Männern unter den Bürgermeister*innen kommt die vorliegende Studie zu einem besorgniserregenden Ergebnis: Nicht einmal jedes zehnte Rathaus wird von einer Frau regiert. Ihr Anteil liegt bei lediglich neun Prozent und stagniert damit seit Jahren auf niedrigem Niveau.
Die Ursachen dürften auch darin liegen, dass die Bedingungen für Frauen im Amt schwieriger sind als für ihre männlichen Kollegen. Die Erfahrungen der befragten Bürgermeisterinnen zeigen deutlich, dass sie im Zuge ihrer Kandidatur stärker mit Widerständen konfrontiert (50 % der Frauen 37 % der Männer) werden und Vorbehalte aufgrund ihres Geschlechts (27 %) erleben. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen der EAF Berlin-Studie „Frauen führen Kommunen“: Auf dem Weg zur Kandidatur und ins Amt sind Frauen häufiger mit Herausforderungen konfrontiert als Männer. Hinzu kommt, dass die Bürgermeisterinnen in höherem Maße Beleidigungen und Bedrohungen (76 % / 67 %) bis hin zu sexueller Belästigung (13 %) ausgesetzt sind.
Es bleibt deshalb ein wichtiger Handlungsauftrag der Politik und der Parteien, zivilgesellschaftlich und kommunalpolitisch engagierte Frauen zu stärken, politische Rahmenbedingungen sowie Parteistrukturen und -kulturen so zu verändern, dass Frauen und Männer gleichermaßen ihr Potenzial, ihre Perspektiven und ihren Gestaltungswillen einbringen können. Letztendlich ist dies auch eine Frage der Nachwuchssicherung – für die öffentliche Verwaltung ebenso wie für die Parteien.
Die EAF Berlin trägt mit ihren Projekten Helene Weber-Kolleg und Mayoress (Unterstützung und Vernetzung von Bürgermeisterinnen) zur Vernetzung und Stärkung von Frauen in der Politik bei.
Die Bedeutung eben dieser Nachwuchssicherung unterstreichen die Ergebnisse der vorliegenden Studie. Denn für die Bürgermeister*innen steht fest: jede*r Dritte (33%) wird bei der nächsten Wahl nicht noch einmal kandidieren, das trifft sowohl auf Ost- als auch auf Westdeutschland zu. Gründe dafür liegen ganz überwiegend (76%) im fortgeschrittenen Alter der Amtsinhaber*innen. Es deutet sich hier ein Generationenwechsel an, der auch neue Chancen für vielfältige Perspektiven in Deutschlands Rathäusern eröffnet.