Debattenkultur: Diskussion am Kern vorbei
Kommentar von Markus Ebel-Waldmann
Wie degeneriert eine Gesellschaft ist, erkennt man an den Themen, über die sie sich streitet. Im europäischen Osten rollen die Panzer, wird ein völkerrechtswidriger Krieg geführt. China rüstet gegen Taiwan auf, die USA starten den vielleicht erfolgreichsten Wiederaufstieg der Industrie dank einer klugen Industriepolitik. In Frankreich brennen die Vorstädte aufgrund einer katastrophal gescheiterten Migrations- und Integrationspolitik und Deutschland streitet über die Wärmepumpe. Auch übers Elterngeld wird gestritten und nun auch über das Ehegattensplitting. Zeitgleich will die Bundesregierung den Spitzenausgleich für energieintensive Unternehmen in Deutschland abschaffen. Hier handelt es sich tatsächlich um eine drastische Maßnahme, welche die industrielle Produktion in Deutschland im Kern bedroht. Aber darüber wird nur in Wirtschaftskreisen gestritten. Hier geht es ja nur um die industrielle Basis und internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und um zehntausende Arbeitsplätze.
Während die Ampel stehend K. o. ist, machen es die Oppositionsparteien nicht viel besser. Angesichts der enormen internationalen und nationalen Herausforderungen und eines beklagenswerten Zustands der Regierungsparteien leistet sich die CDU zwei Jahre vor der Wahl eine Kanzlerkandidatendebatte. Offensichtlich reicht es nicht aus, dass sich allein die Ampel lächerlich macht. Die Union macht es ihr nach. Nehmen wir den Streit ums Elterngeld. Es ist als materielle Entlastung für alle Eltern gedacht. Und darüber hinaus als Anreiz, dass Väter sich stärker in die Kinderbetreuung einbringen und Mütter so früher ins Berufsleben zurückkehren können. Künftig soll das bei Einkommen ab 150.000 Euro nicht mehr gezahlt werden. Diese Bevölkerungsgruppen sind angeblich ja so reich, dass sie leicht auf 1.800 Euro verzichten können. Selbst wenn dem so wäre, sind unserem Staat diese Bürgerinnen und Bürger mit ihren Kindern weniger wert? Sicher, man kann auch das Elterngeld grundsätzlich wieder einmal als verteilungspolitischen Existenzfrage betrachten. Übrigens wie beim Ehegattensplitting.
Wäre eine öffentlichkeitswirksame Debatte über unsere verteidigungspolitischen Existenzfragen nicht wesentlich sinnvoller? Über eine Industriepolitik, die wie in den USA dafür sorgt, dass zum Beispiel die chemische Industrie mit ihren 580.000 Beschäftigten dank eines wettbewerbsfähigen Industriestrompreises auch in Zukunft in Deutschland produzieren kann? „Mensch, werde wesentlich“, forderte Angelus Silesius um Jahr 1675. Man möchte das der Politik und der deutschen Bevölkerung in Erinnerung rufen.