GASTBEITRAG – Gesellschaftliche Diskurse in Unternehmen
Autorin: Prof. Manuela Rousseau
Führungskräfte sind unverzichtbare Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Vielfalt, Freiheit, Teilhabe und Demokratie. Sie bauen Brücken zur Verständigung und schaffen durch eine offene Kommunikation ein gemeinsames Bewusstsein für eine gute Unternehmenskultur. Umso mehr in Zeiten, in denen liberale Werte und Gesellschaften weltweit offen in Frage gestellt werden.
Stellen Sie sich folgende Situation vor: An Ihrem wöchentlichen Teammeeting nehmen an diesem Tag neun Frauen und fünf Männer aus drei Nationen teil. Sie sprechen die bevorstehenden Beurteilungsgespräche an, als ein Kollege folgenden Satz sagt: „Wer in unserem Unternehmen Karriere machen will, muss entweder schwul sein oder eine Frau.“ Peinliches Schweigen, stummes Grinsen. Wie hätten Sie reagiert?
In diesem Fall überging die Führungskraft, die das Teammeeting leitete, diese Aussage. Aufgewühlt von diesem Erlebnis sprach mich der betroffene Kollege danach an: „Das ganze Team weiß, dass ich seit acht Jahren mit einem Mann verheiratet bin. Ich kann nicht fassen, dass mein Vorgesetzter nicht darauf reagiert hat und dies einfach so stehen ließ. Als Betroffener hätten ich und die anwesenden Kolleginnen und Kollegen eine sofortige und eindeutige Reaktion des Vorgesetzten erwartet.“
Der Stellenwert für ein bewusstes und gezieltes Steuern der Unternehmenskultur und die starke Auswirkung auf die Geschäftsergebnisse werden oft unterschätzt. Ein Toparbeitgeber für globale Talente muss sich bewusst sein, dass eine wahrhaft inklusive Unternehmenskultur wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg beiträgt. Es geht darum, eine Führungsbasis und damit eine Belegschaft zu schaffen, die die Vielfalt der Konsumentinnen und Konsumenten widerspiegeln. Unterschiede von Menschen sind keine Bedrohung, sondern eine große Chance für eine bessere Zukunft.
Wir befinden uns in einem Transformationsprozess, der von uns eine extreme Veränderungsbereitschaft abverlangt, insbesondere im Hinblick auf Internationalisierung und Kulturwandel. In der durch die radikale Transformation, Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität geprägten Gegenwart sind unsere Herausforderungen weder dominant technische oder ökonomische, sondern vor allem kulturelle und soziale. Daher wird die Lösung unserer Probleme nicht gelingen, wenn wir die kulturelle und soziale Dimension nicht mitdenken.
Eine weitere zentrale Bedeutung hat die „Haltung“. Studien belegen, dass eine „intuitive“ Entscheidung – das heißt, eine professionelle Haltung mit gelebter, gelernter Professionalität unter Miteinbeziehung von Unsicherheit im Sinne von „Morgen kann alles anders als gestern sein“ – häufig einer rein rational-ökonomischen Faktorenanalyse überlegen ist. Gerade weil sie kulturelle und soziale Aspekte einbezieht, die eine rein zahlenbasierte Analyse nicht berücksichtigt. Unter Bedingungen von Unsicherheit lässt sich nicht berechnen, welche Entscheidung objektiv „richtig“ sein wird.
Aber aus einer professionellen Haltung kann dennoch eine Handlungsrichtung entstehen. Haltung nimmt zudem Wertefragen mit in den Blick, was ebenfalls die Bedeutung kultureller und sozialer Perspektiven unterstreicht.
Schweigen ist keine Option
Gesellschaftliche Diskurse bilden das Fundament, das die Kultur eines Unternehmens wesentlich beeinflusst. Diskursfreudigkeit fördert notwendige Auseinandersetzungen und ein Betriebsklima, in dem eine humane Gemeinschaft wachsen kann, in der niemand als Verlierer zurückbleibt. Führungskräfte, Vorstände und Aufsichtsräte tragen die Verantwortung, die Weichen dafür zu stellen. Dies belegt die Kienbaum Corporate Governance Studie vom Juni 2024: „Auch in Anbetracht der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung halten es gut 70 Prozent der Teilnehmenden für sinnvoll, dass sich Vorstände und Aufsichtsräte öffentlich an gesellschaftlichen und politischen Debatten beteiligen.“ Die Kienbaum-Studie zeigt auch, dass sich viele Vorstände und Aufsichtsräte vorgenommen haben, sich auch selbst aktiver in öffentliche Debatten einzubringen.
Beispiele aus der Praxis
Die Beiersdorf AG duldet keine Ausgrenzungen. Mit einer mehrere Diversity-Dimensionen umfassenden und globalen „DE&I-Roadmap“ (Diversity, Equity, Inclusion) schult Beiersdorf bis zum Jahr 2025 rund 3.000 globale Führungskräfte des mittleren Managements ein nachhaltiges Fundament an DE&I-Wissen, um die inklusive Führung von Teams zu stärken. Ziel ist es, Mitarbeitende weltweit für eine feinfühlige, nuancierte Verwendung von Sprache und Handlungen zu sensibilisieren, um Diskriminierungen aller Art zu vermeiden und die Hintergründe, Perspektiven und Gefühle aller Beteiligten zu achten und zu respektieren.
Wenn eine gemeinsame diversitätsoffene Haltung von Vorstand und Aufsichtsrat zu den Unternehmenswerten und den wichtigsten gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Entwicklungen diskutiert und verabschiedet wird, stärkt dies die Unternehmenskultur erheblich. Unterschiedliche Kompetenzen, Erfahrungen und Empathie im Team werden zum wahren Kompass und Maßstab, um neue und zukunftsorientierte Wege zu gehen. Oft ergibt sich daraus ein facettenreiches und größeres Meinungsspektrum, das wiederum die Qualität der Entscheidungen erhöht und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg für das eigene Geschäft beeinflusst.
Auf persönlichen Vorteil, eigene Macht und Egoismus ausgerichtetes Führungsverhalten blockiert Innovationskraft und Flexibilität im Unternehmen, für das Gemeinwohl und auch den Wohlstand von morgen. Wir brauchen Persönlichkeiten und Führungskräfte, die dem Wohl des Unternehmens, aller Individuen und damit der Gesellschaft dienen. Also Menschen, die bereit sind, alte Beurteilungs- und Kontrollsysteme infrage zu stellen, sie gegebenenfalls aufzugeben, loszulassen und neue Spielregeln aufzustellen. Wer unternehmerische Zukunft gestalten will und an tradierten Rollenmustern und Stereotypen festhält, verspielt seinen Führungsanspruch. Das „Wir“ sollte immer größer sein als das „Ich“.
Infolge des zum Einstieg skizzierten Vorfalls wurde 2019 eine interne Interessengruppe „BeYou@Beiersdorf“ gegründet – mit dem Ziel, das Bewusstsein für LGBTIQ+-Themen im Unternehmen zu schärfen und ein integratives Umfeld für alle LGBTIQ+-Menschen zu schaffen. Das Netzwerk umfasst mittlerweile weltweit 230 Mitglieder und wird von zahlreichen „Allys“, also Menschen unterstützt, die sich mit der Community solidarisch zeigen und aktiv für diese eintreten. Ein Jahr später brachte Nivea die erste Nivea-Dose in Regenbogenfarben auf den Markt und unterstützte erstmals den Hamburger Christopher Street Day mit einem Truck. Über 150 Beschäftigte sowie weitere Verbündete verschiedener Organisationen waren an diesem Tag dabei. Sie setzten unter dem Motto „Be proud in your skin“ ein deutliches Statement. Vincent Warnery, CEO von Beiersdorf, unterstützt „Be You@Beiersdorf“ als Botschafter. Seitdem entstanden zahlreiche Mitarbeitenden-Communitys und „Grassroots-Initiativen“. Sie stellen sicher, dass die Stimmen aller Mitarbeitenden gehört und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse in der DE&I-Strategie berücksichtigt werden und sie leisten mittlerweile einen wesentlichen Beitrag zur Verankerung einer wirklich inklusiven Wir-Kultur.
Prof. Manuela Rousseau lehrt am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, ist wissenschaftliche Beirätin der ULA und war über viele Jahre Mitglied im Aufsichtsrat bei Beiersdorf und Maxingvest. Außerdem war Rousseau langjährige Vorsitzende der Kommission Führung beim ULA-Mitgliedsverband VAA.