Kompromiss zu Arbeitnehmerüberlassung und Flexirente
Ob Willy Brandt sich darüber gefreut hätte? In der Großen Koalition wächst bisweilen auch zusammen, was nicht zusammengehört. Ein politischer „Paket-Deal“ zwischen CDU, CSU und SPD hat im Mai den Weg für die sogenannte Flexi-Rente und eine Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes freigemacht.
Für Fach- und Führungskräfte sind die im Mai im Koalitionsausschuss erzielten Kompromisse in mehrerlei Hinsicht relevant. Hochqualifizierte Fachkräfte, die bewusst und freiwillig im Rahmen von Werkverträgen Dienstleistungen erbringen, müssen offenbar nicht mehr mit einem höheren Risiko rechnen, gegen ihren Willen als Arbeitnehmer eingestuft zu werden. Anlass zu dieser Befürchtung bot im November 2015 ein erster Referentenentwurf des Arbeitsministeriums. Dieser enthielt einen Vorschlag für einen neuen Paragrafen 611a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Der Paragraf sollte „vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag“ definieren. Das Ministerium wählte damals den Weg einer sogenannten Vermutungsregelung. Der Entwurf zählte eine Reihe von Merkmalen auf, die eine widerlegliche Vermutung begründen hätten können, dass ein Arbeitsvertrag vorliegt. Dazu zählten die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation, eine Fremdbestimmung der Arbeitszeit oder die Nutzung fremder Arbeitsmittel. Zwar machte das Ministerium geltend, es setze hierbei nur höchstinstanzliche Rechtsprechung um. Trotzdem erhob sich vielstimmige Kritik von zahlreichen Verbänden, darunter vom ULA-Mitgliedsverband BVBC.
Neue Definition von Arbeitnehmer, keine Vermutungsregelung
Auch die ULA teilte die Bedenken. Bisherige Erfahrungen mit Vermutungsregelungen, etwa mit einer nach wenigen Jahren wieder abgeschafften Definition von „Scheinselbstständigkeit“, waren negativ. Das Ziel, die Rechtssicherheit zu erhöhen, haben sie nicht erreicht. Teilweise wurde sogar das glatte Gegenteil bewirkt.
Der neue Referentenentwurf wählt jetzt einen anderen Weg und präsentiert zugleich ein rechtspolitisches Novum. Im neuen Entwurf des Paragrafen 611a BGB liegt jetzt erstmals ein – weitgehend unumstrittener – Vorschlag für eine Definition von „Arbeitnehmer“ vor. Gesetzgeberisch definiert ist bislang nur der Dienst- beziehungsweise Arbeitsvertrag. Der Schlüsselsatz lautet künftig: „Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.“
Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung erschwert
Daneben sollen einzelne Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes verschärft werden. Aus Sicht der ULA geschieht dies in maßvoller Weise. Unter anderem soll die „verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“ erschwert werden. Eine solche liegt vor, wenn Aufträge zwar auf Basis eines Werkvertrags vergeben werden, die Arbeitnehmer des Werkvertragsunternehmens beim Auftraggeber aber fest in die Organisation eingebunden werden und diesem gegenüber weisungsgebunden sind. Bislang war es möglich, eine Verleiherlaubnis vorsorglich für den Fall zu „bevorraten“, dass gerichtlich oder behördlich festgestellt wird, dass in Wahrheit eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt. Dies soll künftig unterbunden werden.
Auch Mitbestimmungsrechte in Zusammenhang mit Leiharbeit werden gestärkt, beispielsweise Informations- und Unterrichtungsrechte der Betriebsräte über Arbeitnehmerüberlassung. Außerdem werden künftig Leiharbeitnehmer für die Erreichung von Schwellenwerte nach dem Betriebsverfassungsgesetz und den Gesetzen über die Unternehmensmitbestimmung mitgezählt.
Die Überlassungshöchstdauer soll auf 18 Monate begrenzt werden. Derzeit gibt es keine Obergrenze. Per Tarifvertrag solle aber eine längere Dauer vereinbart werden können. Der für die Arbeitnehmerüberlassung tragende Gleichstellungsgrundsatz – „Equal Pay“ genannt und zugleich ein zentrales Motiv für die zuvor erwähnten Umgehungstatbestände – soll nach neun Monaten erreicht werden. Per Tarifvertrag sollen auch Stufenpläne über eine Dauer von maximal 15 Monaten vereinbart werden können.
Die ULA wurde vom Arbeitsministerium schriftlich um Stellungnahme gebeten. Sie hat die vorgeschlagenen Änderungen mehrheitlich gebilligt und nur punktuelle Änderungen angeregt.
Flexi-Rente überzeugt nicht
Der Kompromiss zur Flexi-Rente wurde bereits Ende 2015 in einer Koalitionsarbeitsgruppe erarbeitet, lag aber wegen des Streits über die Arbeitnehmerüberlassung auf Eis. Hier bleibt das Ergebnis nach Ansicht der ULA hinter den Erwartungen zurück. Vor allem das Problem der Hinzuverdienstgrenzen wurde nicht überzeugend gelöst.
Bislang erlischt der Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente, die ein Versicherter vor Erreichen der Regelaltersgrenze bezieht, bereits oberhalb einer Schwelle von 450 Euro pro Monat. Je nach Höhe der Überschreitung reduziert sich der Anspruch auf zwei Drittel, die Hälfte oder ein Drittel einer Vollrente. Eine solche Regelung wirkt für die Betroffenen abschreckend und de facto als Beschäftigungsbremse. Künftig soll oberhalb einer Schwelle von 450 Euro 40 Prozent des Hinzuverdienstes auf den Rentenzahlbetrag angerechnet werden, immerhin stufenlos.
Fraglich ist, ob von einer derart halbherzigen Neuregelung eine echte Signalwirkung ausgehen kann. Jegliche Anrechnung schmälert die Attraktivität eines flexiblen Ausgleitens durch eine Kombination von Erwerbsarbeit und vorgezogener Rente erheblich. Die ULA fordert seit Jahren, Hinzuverdienste komplett von jeder Anrechnung auszunehmen, bis vorgezogene Rente und Hinzuverdienst in Summe das zuvor bezogene Einkommen überschreiten.
Im Übrigen müssen noch weitere Rahmbedingungen verbessert werden, die ein flexibles Ausgleiten in den letzten Berufsjahren behindern. Hier gibt es vielversprechende Instrumente, zum Beispiele Wertguthaben beziehungsweise Lebensarbeitszeitkonten, die nach Meinung der ULA aufgrund unnötiger restriktiver gesetzlicher Vorschriften noch nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft haben. Auch hierzu wird sich die Führungskräftevereinigung ULA in einer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf äußern, sobald er vorliegt.