Änderungskündigung: Homeoffice als milderes Mittel?
Die Möglichkeit zur Arbeit aus dem Homeoffice kann einer Änderungskündigung zur Zuweisung eines anderen Arbeitsortes entgegenstehen, auch wenn kein allgemeiner Anspruch auf eine Tätigkeit im Homeoffice besteht. Das hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden.
Ein Unternehmen hatte gegenüber einer Arbeitnehmerin im Rahmen der Stilllegung eines Betriebes eine Änderungskündigung ausgesprochen. In einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich wurde festgelegt, dass für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern, zu denen die Klägerin gehörte, die Möglichkeit zur Bewerbung auf eine Stelle an einem anderen Standort des Unternehmens besteht. Gleichzeitig wurde ein Sozialplan verabredet, der eine Abfindungszahlung für den Fall des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis vorsieht.
Die Arbeitnehmerin klagte gegen die aus ihrer Sicht sozial ungerechtfertigte Kündigung, weil sie ihre Arbeit von zu Hause aus erbringen könne. Sie verwies darauf, dass im Unternehmen bereits seit drei Jahren – unter anderem von ihr selbst – digital gearbeitet werde und die Möglichkeit einer solchen Telearbeit sich auch aus einer im Unternehmen geltenden Rahmenrichtlinie ergebe. Die erforderliche technische Infrastruktur sei vorhanden und ihr Ehemann, der beim gleichen Unternehmen angestellt sei, arbeite bereits im Homeoffice. Das Unternehmen berief sich dagegen darauf, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt sei. Aufgrund der Schließung des Standortes am bisherigen Arbeitsort der Klägerin sei eine Tätigkeit dort nicht mehr möglich und ihr sei eine Tätigkeit an einem anderen Standort anzubieten gewesen. Die Arbeitnehmerin könne ihre vertraglich geschuldete Leistung nicht von Hause aus erbringen, da diese Möglichkeit für Mitarbeiter mit ihrem Tätigkeitsprofil nicht eröffnet sei.
Das Arbeitsgericht Berlin entschied im Sinne der Arbeitnehmerin und erklärte die Änderungskündigung für unwirksam (Urteil vom 10. August 2020, Aktenzeichen: 19 Ca 13189/19).
Der Arbeitgeber hätte der Arbeitnehmerin aus Sicht des Gerichts als „milderes Mittel“ eine Tätigkeit im Homeoffice anbieten müssen. Zwar liege eine unternehmerische Entscheidung vor, die zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit am bisherigen Standort führe. Das Unternehmen müsse sich aber bei der Änderung der Arbeitsbedingungen auf das Maß beschränken, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar sei. Die Richter stellten klar, dass zwar kein grundsätzlicher Anspruch eines Arbeitnehmers auf einen häuslichen Arbeitsplatz besteht. In diesem Fall hätte das Unternehmen jedoch trotz eines gerichtlichen Hinweises nicht ausreichend dargelegt, warum eine physische Präsenz der Klägerin zur Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben notwendig sei. Angesichts der durch die Coronakrise deutlich stärker erfolgten Verbreitung elektronischen Arbeitens von zu Hause aus erscheine das Verhalten des Unternehmens als aus der Zeit gefallen und letztlich willkürlich.
VAA-Praxistipp
Mit seinem Urteil weicht das Arbeitsgericht von der bisherigen Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte ab. Danach unterliegt die Entscheidung, ob Arbeitnehmer ihre Tätigkeit in der Betriebsstätte erbringen müssen oder (teilweise) von ihrem Wohnsitz aus erbringen dürfen, der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Der Arbeitgeber hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und es bleibt abzuwarten, ob das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Entscheidung des Arbeitsgerichts abändert. Denn die Digitalisierung der Arbeitswelt während der Coronakrise ist zweifellos vorangeschritten.