„Chef, wen soll ich wählen?“ – Zum Umgang mit politischen Diskursen in Unternehmen

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Gastbeitrag von Prof. Guido Möllering

Zum Alltag von Führungskräften gehört es immer mehr, sich auch mit politischen Themen zu befassen. Es gibt viele verschiedene Anlässe und Formen dafür. Stets kann man sich fragen, wie man solche Diskurse sinnvoll und wertvoll gestalten kann. Im Folgenden werden einige Orientierungsmöglichkeiten gezeigt.

Das Zitat im Titel des Beitrags stammt aus einer spannenden Diskussion beim Deutschen Führungskräftetag der ULA in Berlin am 13. Juni 2024. Tatsächlich wurde eine deutsche Führungskraft an einem US-amerikanischen Standort des Konzerns von Mitarbeitenden darauf angesprochen, wen sie bei den Präsidentschaftswahlen denn im Interesse des Unternehmens wählen sollten. Dies ist zwar eine verblüffende Situation und zeigt uns sehr anschaulich, wie explizit Politik in der Führungsarbeit zum Thema werden kann.

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich weitere Situationen vorzustellen, in denen es in Unternehmen um Politik geht. Das ist auch nichts Neues, wird aber aktuell stärker spürbar. Mal betrifft es das Geschäft des Unternehmens ganz direkt, z.B. bei den Rahmenbedingungen für Standortentscheidungen, und manchmal allenfalls indirekt, z.B. wenn es um die veganen Angebote in der Kantine geht. Wann und wie müssen Führungskräfte aktiv damit umgehen?

Führungskräfte können ihre eigene Rolle in politischen Diskursen besser verstehen, wenn sie sich zwei zentrale Fragen stellen:

  1. Wer sind die Treibenden und wer die Adressierten bei dem jeweiligen Thema, dass im Unternehmen gerade angesprochen wird?
  2. Warum und wie stark ist das jeweilige Thema relevant für verschiedene Gruppen und was ist ihre aktuelle Haltung dazu?

Mit der ersten Frage kann man unter anderem herausfinden, ob man als Führungskraft überhaupt eingreifen muss. Manche Diskurse erfordern das nämlich gar nicht. Mit der zweiten Frage stellt man fest, wie kompliziert es werden könnte, ob man mit starken Konflikten rechnen muss, eher in eine vermittelnde Rolle kommt, oder eine gemeinsame Position verstärken kann.

Kläre die Treibenden und Adressierten!

Sowohl bei den Treibenden des Themas, als auch bei den Adressierten, von denen man eine Reaktion erwartet, kann man zwischen internen und externen Akteuren unterscheiden. Es geht letztlich um die Frage: Wer hat ein Anliegen an wen? (siehe Abbildung)

  • Werksaktivismus: Mitglieder des Unternehmens versuchen Kolleg:innen von einer bestimmten politischen Meinung oder Einschätzung zu überzeugen, zum Beispiel ob Einwanderung wünschenswert ist. Das kann im Frühstücksraum stattfinden oder bei der Vorstandssitzung oder auch durch beiläufige Bemerkungen.
  • Lobbyismus/Public Affairs: Mitglieder des Unternehmens wenden sich an externe Personen oder Institutionen, um eine politische Position zu vertreten, z.B. zu Veränderungen im Steuersystem. Dazu können mehr oder weniger offizielle und explizite Kanäle verwendet werden. Aber auch hier sind informelle, beiläufige Gelegenheiten miteingeschlossen.
  • Stakeholder-Dialog: Außenstehende adressieren politisch-geprägte Erwartungen an Mitglieder des Unternehmens, um Einfluss darauf zu nehmen, wie das Unternehmen handelt, zum Beispiel bei der Einhaltung von Menschenrechten. Hierzu kann es geplante Veranstaltungen geben, aber auch spontane, mehr oder weniger öffentliche Äußerungen.
  • Corporate/CEO-Aktivismus: Diese spezielle Form läuft unter externen Treibenden mit externen Adressierten ab und zwar so, dass Mitglieder der Spitze des Unternehmens sich zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen äußern, wie zum Beispiel Rechtsextremismus, ohne dass es dabei im engeren Sinne auch um das eigene Unternehmen gehen muss.

Führungskräfte sollten sich fragen, für welche internen Gruppen sie überhaupt verantwortlich sind und inwiefern durch Werksaktivismus oder Stakeholdereinflüsse Anlässe für Veränderungen anstehen könnten. Zugleich können sie hinsichtlich der externen Adressierten ermessen, ob sie überhaupt an einer entsprechenden Schnittstelle zuständig sind. Im Ergebnis werden sie merken, dass viele politische Diskurse ihre Arbeit kaum betreffen, sie sich entsprechend aber um die anderen kümmern können.

Frage nach der Relevanz und den Haltungen!

Von Fall zu Fall inhaltlich abzuwägen ist natürlich die Frage, inwieweit diskutierte Themen in einem Zusammenhang mit den Aktivitäten eines Unternehmens stehen. Ist dieser nur schwach ausgeprägt, liegt es nahe, den Diskursen nicht allzu viel Raum zu geben, da sie wenig produktiv sind. Führungskräfte sollten aber die Zusammenhänge nicht unterschätzen. Erstens kann ein Thema letztlich doch relevant sein. Zum Beispiel werden Migrations- oder Genderthemen inzwischen auch mit der Fachkräftegewinnung verknüpft. Zweitens kann es Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation haben, wenn Diskussionen ermöglicht oder unterdrückt werden (zum Beispiel bei Nachhaltigkeitsthemen.)

Führungskräfte können einen konstruktiven, moderierenden Beitrag zu den Diskursen leisten, indem sie die Beteiligten fragen: „Warum könnte das wichtig für uns (hier) sein?“ Auf diesem Wege lässt sich herausfinden, für wen innerhalb und außerhalb des Unternehmens ein Thema überhaupt eine mehr oder weniger große Relevanz hat. Entsprechend können Führungskräfte dann auch versuchen zu beeinflussen, wer sich in den Diskurs einbringt.

Spannend wird es natürlich denn, wenn ein Thema sehr relevant für verschiedene Personen oder Gruppen ist, diese jedoch unterschiedliche Haltungen einnehmen (pro/contra/neutral). Führungskräfte müssen darauf gefasst sein, dass es Kontroversen gibt, die aber nicht unproduktiv sein müssen. Wenn ein Thema für das Team oder das Unternehmen als relevant angesehen wird, muss man es zumindest versuchen, auf eine gemeinsame Line zu kommen. Und wenn ein Thema nicht kontrovers gesehen wird, dann ist es gut, die gemeinsame Haltung zu bekräftigen.

Implikationen

Der hier vorgeschlagene Ansatz läuft auf Folgendes hinaus: Führungskräfte sollten politischen Diskursen nicht aus dem Weg gehen. Sie können klären, wo die Diskurse stattfinden, und teilweise beeinflussen, welchen Raum man ihnen gibt. Führungskräfte sind in einer vermittelnden Rolle, wenn (noch) nicht klar ist, wie relevant ein Thema ist und was die Haltungen dazu sind. Führungskräfte handeln verantwortungsvoll, wenn sie produktive Ergebnisse von politischen Diskursen erzielen.

Auf die Frage „Chef, wen soll ich wählen?“, folgt dann keine stumpfe Wahlempfehlung, sondern ein (kurzes) Gespräch, was es denn für das Unternehmen und seine Mitarbeiter bedeuten würde, wenn die eine oder doch die andere Partei an die Macht käme. Dann sollte auch zumindest ein Konsens herauskommen, dass man keine Demokratiefeinde wählt und dass es ansonsten nur selten eine vollkommene Einhelligkeit zu politische Themen gibt.

Lektüretipps

Blanz, J. et al. (2024). Unter Strom: Wie polarisierte Diskurse Organisationen zu Konfliktfeldern machen. Metaplan. https://www.metaplan.com/de/studie-polarisierung-download/

Briscoe, F., & Gupta, A. (2016). Social activism in and around organizations. The Academy of Management Annals, 10(1), 671–727. https://doi.org/10.1080/19416520.2016.1153261

Prof. Dr. Guido Möllering ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der ULA und Direktor des Reinhard-Mohn-Instituts für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke, rmi@uni-wh.de.