Entwendung von Desinfektionsmittel: fristlose Kündigung rechtmäßig
Entwendet ein Mitarbeiter einen Liter Desinfektionsmittel, kann eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtmäßig sein. Dies hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschieden.
Ein Arbeitnehmer war seit dem Jahr 2004 bei einem Paketzustellunternehmen als Be- und Entlader sowie als Wäscher für die Fahrzeuge beschäftigt gewesen. Die Wäsche der Wagen erfolgte in der Nachtschicht mit sechs bis sieben Kollegen, wobei der Arbeitnehmer seinen Wagen in der Nähe des Arbeitsplatzes abstellen konnte. Bei einer stichprobenartigen Ausfahrtkontrolle fand der eigene Werkschutz im Kofferraum des Mitarbeiters eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt circa 40 Euro. Das Unternehmen kündigte dem Arbeitnehmer fristlos, der Betriebsrat stimmte der Kündigung nach einer Befragung von Zeugen zu.
Gegen die Kündigung wandte sich der Kläger mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht. Er habe sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht. Er müsse kein Desinfektionsmittel stehlen, weil seine Frau in der Pflege arbeite und die Familie über sie ausreichend versorgt sei. Das Unternehmen verwies auf Aushänge im Sanitärbereich, mit denen darauf hingewiesen worden sei, dass ein Mitnehmen von Desinfektionsmitteln eine fristlose Kündigung zur Folge habe.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf wies – wie bereits das Arbeitsgericht zuvor – die Kündigungsschutzklage ab (Urteil vom 14. Januar 2021, Aktenzeichen: 5 Sa 483/20), weil aus seiner Sicht ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorlag. Die Einlassungen des Arbeitnehmers seien nicht glaubhaft. Vielmehr sei davon auszugehen, dass er sich das Desinfektionsmittel zugeignet habe, um es selbst zu verbrauchen.
Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahe gelegen, das Desinfektionsmittel auf den Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen, zumal in der Nacht nur sechs bis sieben Kollegen arbeiteten. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen verwenden wollte, denn weder hatte er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahrt, noch ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es benutzen können. Schließlich war die aufgefundene Flasche nicht angebrochen. Unter diesen Umständen war aus Sicht der Richter trotz der langen Beschäftigungszeit keine vorherige Abmahnung erforderlich. Der Arbeitnehmer habe in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware war und in Kenntnis davon, dass auch die Beklagte mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Damit habe er zugleich in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen. In Ansehung dieser Umstände musste ihm klar sein, dass er mit der Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdete.
VAA-Praxistipp
Das Urteil des LAG unterstreicht, dass bei einer schwerwiegenden Verletzung der arbeitsrechtlichen Pflichten durch den Arbeitnehmer eine fristlose Kündigung trotz der vergleichsweise hohen Hürden wirksam sein kann. Das Gericht hat mit seiner Begründung klar gemacht, dass hier nicht nur die Entwendung eines Gegenstandes durch den Mitarbeiter ausschlaggebend war, sondern auch die potenziell damit verbundenen Konsequenzen für die Gesundheit seiner Kollegen.