EuGH-Entscheidung: Insolvenzsicherung von Pensionskassenrenten
Wenn Arbeitgeber betriebliche Altersversorgung über Pensionskassen durchführen und diese aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten die zugesagten Leistungen nicht mehr erbringen können, haftet der Arbeitgeber dem Rentner nach dem Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) unmittelbar. Ist aber der Arbeitgeber infolge seiner Insolvenz nicht in der Lage, die Zahlungen zu erbringen, haftet nach deutschem Recht anscheinend niemand. Dies war die Ausgangslage des Verfahrens C-168/18 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), welches das Bundesarbeitsgericht (BAG) dem EuGH vorgelegt hat. Rechtsanwältin Dr. Ingeborg Axler von der Fachanwaltskanzlei BJBK berichtet über den von ihr vertretenen Fall.
VAA: Was genau hat der EuGH am 19. Dezember 2019 zu dieser Frage entschieden?
Axler: Das BAG hatte das Verfahren 2018 ausgesetzt und dem EuGH verschiedene Fragen gestellt, die dieser nun beantwortet hat. Zunächst ging es darum, ob Artikel 8 der EU-Richtlinie 2008/94 – das ist die europäische Insolvenzrichtlinie – überhaupt anzuwenden ist auf eine Pensionskassenversorgung und die Einstandspflicht des Arbeitgebers, wenn die Pensionskasse die zugesagten Leistungen nicht erbringt. Dies hat der EuGH bestätigt. Er hatte in früheren Entscheidungen stets festgestellt, dass die Richtlinie verletzt sei, wenn Arbeitnehmer Teile ihrer betrieblichen Altersversorgung wegen der Insolvenz des Arbeitgebers verlieren und der Verlust bei mindestens 50 Prozent liegt. Und er hatte festgestellt, dass unter Umständen auch ein geringerer Verlust als 50 Prozent einen Verstoß gegen die Insolvenzrichtlinie darstellen könnte, wenn er als „offensichtlich unverhältnismäßig“ angesehen werden könne. Eine der Fragen des BAG war nun, wann genau denn ein solcher Verlust als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden könnte. Der EuGH hat diese Frage dahingehend beantwortet, dass die Grenze überschritten sei, wenn der Betroffene seinen Lebensunterhalt aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers nicht mehr bestreiten könne, also unter eine sogenannte Armutsgefährdungsschwelle rutsche oder dies jedenfalls zukünftig zu befürchten sei.
VAA: Kann diese Argumentation überzeugen?
Axler: Nein, solche Gedanken sind dem deutschen Recht völlig fremd: Betriebliche Altersversorgung ist nach deutschem Verständnis Entgelt, also – genau wie das Gehalt – Gegenleistung für die bereits geleistete Arbeit. Nur, dass die Gegenleistung auf die Zeit des Ruhestandes verschoben ist. Es ist aus meiner Sicht schlechthin nicht denkbar, den Insolvenzschutz der betrieblichen Altersversorgung – es geht um die Haftung des Arbeitgebers für die zugesagten Pensionskassenrenten – davon abhängig zu machen, ob der Arbeitnehmer eine gewisse Armutsgefährdungsgrenze unterschreitet. Betriebliche Altersversorgung ist nach deutschem Verständnis gerade keine „Fürsorgeleistung“ des Arbeitgebers an Bedürftige, sondern Entgelt für bereits geleistete Arbeit. Daher kann auch die Frage, ob die betriebliche Altersversorgung insolvenzgeschützt sein muss, nicht davon abhängig gemacht werden, welche Bezüge oder Einkommen oder Vermögen der Arbeitnehmer im Übrigen hat.
VAA: Hat der EuGH weitere Feststellungen getroffen?
Axler: Ja, das Bundesarbeitsgericht hatte dem EuGH des Weiteren die Frage gestellt, ob der Pensionssicherungsverein gegenüber dem Betroffenen Rentner unmittelbar haftet.
Diese Frage hat der EuGH bejaht. Er hat festgestellt, dass der Pensionssicherungsverein einer staatlichen Einrichtung gleichsteht und im Zweifel unmittelbar in Anspruch genommen werden kann. Dies soll jedoch nur der Fall sein, wenn bei einer Pensionskassenversorgung aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers eine gewisse „Armutsgrenze“ überschritten wird und der Gesetzgeber den Pensionssicherungsverein mit der Haftung für diesen Mindestschutz ausgestattet hat. Wie diese Aussage zu bewerten ist, ist zurzeit noch offen. Darüber muss das Bundesarbeitsgericht weiter entscheiden.
VAA: Wie bewerten Sie das EuGH-Urteil insgesamt?
Axler: Ich bin sehr froh, dass der EuGH die Notwendigkeit einer gesetzlichen Insolvenzsicherung auch für Pensionskassenrenten und insbesondere für den Ergänzungsanspruch des Arbeitgebers gemäß § 1 Absatz 1 Satz 3 BetrAVG ausdrücklich bejaht hat. Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist aus meiner Sicht aber nicht denkbar, dass der Gesetzgeber den gesetzlichen Insolvenzschutz von betrieblicher Altersversorgung vom Unterschreiten einer „Armutsgrenze“ abhängig macht. Offensichtlich ist das Bundesarbeitsministerium aber zwischenzeitlich ebenfalls zu der Auffassung gelangt, dass eine Insolvenzsicherung auch für Pensionskassenrenten und den Ergänzungsanspruch gegen den Arbeitgeber unabdingbar ist. Mit einem im Dezember 2019 vorgelegten Gesetzesentwurf zum 7. SGB IV Änderungsgesetz wurde als Artikel X auch eine entsprechende Änderung des Betriebsrentengesetzes vorgeschlagen. In diesem ist vorgesehen, dass die Insolvenzsicherung, die in § 7 BetrAVG geregelt ist, in Zukunft auch dann eingreifen soll, wenn ein Arbeitgeber insolvent wird und die Pensionskasse die in der Versorgungszusage vorgesehenen Leistung nicht erbringt. In diesem Fall soll der Pensionssicherungsverein haften. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich auf die Rechtssache EuGH C-168/18 Bezug genommen. Wenn also das Urteil des europäischen Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019 nicht alle Erwartungen erfüllt, hat es doch den deutschen Gesetzgeber auf den richtigen Weg geführt. Er hat die Notwendigkeit erkannt, auch Pensionskassenzusagen gegen Insolvenz des Arbeitgebers gesetzlich abzusichern. Dies ist auf jeden Fall ein voller Erfolg für die von den Leistungskürzungen betroffenen Arbeitnehmer.
Dr. Ingeborg Axler ist Partnerin der Fachanwaltskanzlei BJBK in Köln und bearbeitet schwerpunktmäßig Fälle der Betrieblichen Altersversorgung. Die Kanzlei (Kanzlei@bjbk.de) ist Kooperationspartner des VAA.