GASTBEITRAG DES VCI-PRÄSIDENTEN – Deutschland mit Rundum-Reform zum Greentech-Zentrum machen

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Von Dr. Markus Steilemann

Herbststimmung im Sommer: Deutschland fällt zurück, dringend nötig sind strukturelle Reformen, klare Orientierung und strategische Ziele. Die konsequente Ausrichtung auf grüne Zukunftstechnologien und die Kreislaufwirtschaft ist ein zukunftsweisender, lohnender Weg. Dazu braucht es einen Mentalitätswandel – und starke Führungskräfte. Diese wichtige Gruppe verdient gerade jetzt mehr Aufmerksamkeit.

Sommer 24, Halbzeit in Deutschland. Das Land geht in die Pause, mit einem eher enttäuschenden Spielstand. EM-Titel? Nichts geworden. Wirtschaftsstandort? In der Abstiegszone. Politik? Weiter kleinteiliger Einzelkampf statt Teamplay. Eine Nation in Herbststimmung, verunsichert, niedergeschlagen, ohne klaren Kompass. Und das gerade jetzt, da Deutschland nicht nur unzählige akute Herausforderungen, sondern auch eine langfristige Transformation bewältigen muss, um sich für die Zukunft zu rüsten. Um den ökologischen Bedrohungen, allen voran dem Klimawandel, zu begegnen. Um widerstandsfähiger zu werden in der zunehmend fragilen Welt. Um die Reise in die digitale Ära mitzugestalten, um eine tragfähigere gesellschaftliche Basis zu entwickeln.

Für das alles braucht es eine starke Industrie. Doch auch hier herrscht alles andere als Sommerflair. So ist die Zahl der Insolvenzen unter den größeren Unternehmen einer Studie zufolge im ersten Halbjahr um 40 Prozent gestiegen. Gründe: Corona-Nachwirkungen, Inflation, schwächelnde Nachfrage sowie steigende Energie- und Materialkosten.

Nun liegt die konjunkturelle Entwicklung natürlich nicht in unserer Hand. Wohl aber das Thema Kosten, einer der vielen neuralgischen Punkte, die das Land lähmen und uns zum Konjunktur-Schlusslicht machen unter den großen Volkswirtschaften. Hinzu kommt die vielfach marode Infrastruktur, die schleppende Digitalisierung, die hohe Steuerlast, der immer größere Mangel an Fachkräften und ein bürokratisches Labyrinth wie aus den Romanen Franz Kafkas. Doch all das sind Rahmenbedingungen, die sich ändern lassen – und müssen.

Denn es wird immer offenkundiger: Deutschland benötigt eine Rundumsanierung, eine Reform an Haupt und Gliedern. Woran es vor allem hapert, ist der Schritt von der Diagnose zur Therapie, vom Wollen zum Machen. Wir müssen jetzt schnellstens alle Hebel auf Handeln umlegen. Zu einem geschlossenen Team werden, in dem sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Bälle zupassen. Prinzipiell bin ich zuversichtlich, dass die Aufholjagd gelingen kann. Denn unser Land steht ja auf einem festen Fundament: Rechtssicherheit, Korruptionsbekämpfung, Bildungsniveau, Pressefreiheit – hier liegen wir international mit an der Spitze, darum beneiden uns andere. Hinzu kommen finanzielle Stabilität, ein hoch angesehenes Sozialsystem, viele gut ausgebildete Arbeitskräfte. Und vor allem: Deutschland ist noch immer eine Erfindernation, auf Rang acht unter den innovativsten Volkswirtschaften. Das alles sind Pfunde, mit denen wir wuchern müssen.

Und damit haben wir auch gute Aussichten, wieder in die Topliga aufzurücken. Vor allem mit dem Megathema Nachhaltigkeit, das langfristig ebenso alternativlos wie lohnend ist. Deutschland zu einem Zentrum für grüne Technologien und Kreislaufwirtschaft zu formen, darin liegt für mich die Zukunft. Das sollte unsere Vision und unser USP werden, auch mithilfe innovativer Branchen wie der Chemie.

Aber erst müssen wir unseren größten Gegner bezwingen: unsere „German Angst“. Die Nation braucht einen Mentalitätswandel, muss offensiver und dynamischer werden, mit mehr Mut zur Veränderung. Dafür müssen wir aber den Menschen auch zeigen: Es gibt Lösungen, Fortschritt ist machbar, ein besseres Morgen braucht keine Utopie zu bleiben. Was das Land also immer dringlicher nötig hat, sind Orientierung, Perspektiven, Lösungen – und Führung. Doch gerade die, auf die wir jetzt mehr denn je zählen, sind angezählt. Laut einer Umfrage aus dem Frühjahr fühlen sich fast zwei Drittel der Führungskräfte hierzulande erschöpft. Ein Alarmsignal, dass diese zentrale Gruppe mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge verdient.

Und ein innerer Weckruf: Führungskräfte müssen in diesen herausfordernden Zeiten besonders auch sich selbst führen, auf sich achten – und an ihren Aufgaben wachsen. Denn was ist motivierender als die Chance, Wandel zu gestalten und der Nation den Weg zu ebnen in eine gute Zukunft?