GASTBEITRAG – Führungskapital-Index bewertet politische Führungsstärke

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Autor: Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler

Die Qualität politischer Führung entscheidet in Krisenzeiten maßgeblich über Stabilität und Fortschritt. Der Führungskapital-Index von Bennister, Worthy und t’Hart bietet eine strukturierte Methode, um Führungsstärke messbar zu machen. Mit zehn klar definierten Faktoren analysiert dieser sowohl persönliche Fähigkeiten als auch kontextuelle Einflüsse. Doch die Bewertung bleibt fragil: Politische Führung ist von einer Vielzahl unkontrollierbarer Dynamiken geprägt. Einblicke in die Methodik und ihre Erkenntnisse werden – mit einem Verweis auf die Merkel-Kanzlerschaft und die aktuelle Situation – beispielhaft skizziert..

Führungsstärke: Ein Maß für politische Leistungskraft

In Zeiten massiver Krisen wird die Stärke politischer Führung besonders sichtbar. Der Führungskapital-Index bietet eine umfassende Methode, um diese zu bewerten. Er kombiniert persönliche Eigenschaften des politischen Akteurs mit externen Einflussfaktoren und ermöglicht eine Einordnung der Führungsleistung in einem komplexen politischen Umfeld. Das Modell basiert auf zehn Kriterien, die jeweils fünfstufig bewertet werden. Ziel ist eine transparente und vergleichbare Analyse politischer Führungsfähigkeit (im Zeitverlauf).

  1. Politische Vision
  2. Kommunikative Performance
  3. Auf die Person bezogene Umfrageergebnisse im Vergleich zum Oppositionsführer
  4. Dauer der Amtszeit
  5. (Wieder-)Wahl-Ergebnis-Abstand zu anderen Parteien
  6. Umfrageergebnisse im Vergleich zur letzten tatsächlichen Wahl
  7. Vertrauenslevel nach öffentlicher Meinung
  8. Wahrscheinliche Festigkeit (u. a. Unterstützung im Amt) innerhalb der nächsten sechs Monate
  9. Wahrgenommene Fähigkeit, die Parteiagenda zu bestimmen
  10. Wahrgenommene parlamentarische Effektivität

Merkel und andere: Führungsstärke in der Praxis

Die Analyse von Angela Merkels Kanzlerschaft (hier: 2005–2015) verdeutlicht die Aussagekraft des Index, der maximal 50 Punkte erreicht. Ihre Führungsstärke entwickelte sich von 28 Punkten 2005 zu einem Höchstwert von 39 Punkten 2012, bevor sie leicht auf 38 Punkte 2015 sank. Im internationalen Vergleich erreicht sie damit einen respektablen Wert (damit beispielsweise höher als Thatcher und annäherungsweise wie Tony Blair (43 Punkte) in seiner stärksten Phase).

Führungsstärke ist labil

Politische Führungsstärke ist nicht stabil. Externe Faktoren wie Medienberichterstattung oder Krisensituationen beeinflussen die Wahrnehmung stark. Zudem unterliegt die Bewertung dem fundamentalen Attributionsfehler: Persönliche Verantwortung wird überschätzt, situative Einflüsse oft ignoriert. Politisch Führende können durch strategische Kommunikation gezielt Einfluss nehmen, sollten jedoch auch den Kontext als Teil ihrer Erfolgsbilanz sehen und darstellen.

Herausforderungen der Bewertung

Der Führungskapital-Index bietet ein wichtiges Werkzeug, ersetzt aber keine differenzierte Diskussion. Die abschließende Punktzahl zeigt Trends, darf aber nicht als absolute Wahrheit missverstanden werden. Politische Führung bleibt eine dynamische, oft fragile Größe, die viele Einflussfaktoren berücksichtigt und ihnen unterworfen ist.

Gegenwart

Politische Führungsstärke ist messbar – wobei sich die Messergebnisse im Zeitablauf verändern können. Der Führungskapital-Index ist ein wertvolles Instrument, um diese komplexe Größe greifbarer zu machen. Er integriert objektive Zahlen/Fakten und subjektive Wahrnehmungen bzw. Interpretationen. Entscheidend bleibt bei alledem jedoch, dass solche Führungsanalysen nicht nur unterm Strich eine Zahl mit einzuordnender Bedeutung liefern, sondern auch Reflexion fördern: Was macht politische Führung effektiv, und wie können wir diese stärken?

Wer nun diese zehn Kriterien bemüht, um die aktuelle Führungsstärke  bspw. des Bundeskanzlers Olaf Scholz in einem ersten Zugriff grobkörnig zu bewerten, wird gegenwärtig keine für ihn erfreuliche Ausprägung dieses Index erwarten dürfen, orientiert man sich summarisch an den Darstellungen seiner Person, z. B. zum Gelingen seiner politischen Kommunikation, in Leitmedien, statistischen Daten aus Umfragen bei der Bevölkerung zur Arbeitsleistung und zum Vertrauen (im Vergleich zum wichtigsten Oppositionsführer), den letzten Wahlergebnissen seiner Partei, anderen einschlägigen Gegebenheiten sowie Einflussnahmen auf die Parteiagenda und die Möglichkeit zur parlamentarischen Durchsetzung eigener politischer Vorhaben vor den Neuwahlen.

Aber wir wissen: Morgen kann sich aufgrund eines Einzelereignisses möglicherweise alles wenden. Plötzlich wird dann ein Bewertungskriterium absolut dominant und kann zu eigenen Gunsten genutzt werden. Der Führungsstärkeindex steht, nimmt man ihn prädiktiv, in seiner konkreten Ausprägung für die empirisch erhärtete Chance, aus dieser Perspektive in eine Spitzenposition gewählt zu werden.

Führungsstärke steht evolutionär für das Vermögen, eine Gemeinschaft nach innen bestmöglich zu entfalten und nach außen maximal abzusichern, dabei den aufgrund veränderter Umfeldbedingungen notwendigen Wandel vorausschauend anzuführen oder alles dafür zu bereiten, dass andere dies leisten können. Landeskulturen unterscheiden sich in den Präferenzen für das eine oder das andere und in der Frage, welche Merkmale und Verhaltensweisen eine Zuschreibung auf Stärke provozieren. Aber es gibt auch übergreifende Gemeinsamkeiten. So wird beispielsweise breit goutiert, für andere (!) relevante Problemlösungen inspirierend zu kommunizieren, die bei ihnen (!) bedeutsame Emotionen auslösen. Für Bewegungen und ungefähr gleichrangige politische Gegner ist diese Befähigung unerlässlich, für eine gute Unterhaltung ebenso. Und wer heutzutage nicht unterhalten kann, wird weggezappt.

 

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler ist Ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalführung und Organisation an der FernUniversität in Hagen und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der ULA

Der vollständige Beitrag ist erschienen auf: https://www.leadership-insiders.de/politische-fuehrung-fuehrungskapital-index-bewertet-fuehrungsstaerke/