Neuerfindung der betrieblichen Altersversorgung?

Zurzeit arbeitet das Bundesarbeitsministerium (BMAS) an einem Modell für eine umfassende Reform der betrieblichen Altersversorgung. Tarifverträge sollen es Arbeitgebern künftig erlauben, ihre rechtlichen Verpflichtungen zu verringern. Versorgungszusagen könnten so bilanzneutraler gestalten werden. Eine Gefahr für Führungskräfte?

Politische Grundlage ist ein Handlungsauftrag aus dem Koalitionsvertrag. Der Anteil von Arbeitnehmern mit einer Betriebsrentenzusage von derzeit 60 Prozent soll steigen. Vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen soll die Verbreitung erhöht werden.

An der Ernsthaftigkeit der Pläne sind auf den ersten Blick Zweifel erlaubt. Gleich zu Beginn der großen Koalition wurden isoliert Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung erhöht („Mütterrenten“, „abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren“). Weitere Leistungsverbesserungen sind in Vorbereitung („Lebensleistungsrente“). Ebenfalls in Richtung einer Anhebung des Niveaus der gesetzlichen Renten weisen umstrittene Äußerungen des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer „Die Riester-Rente ist gescheitert“ und des SPD-Chefs Sigmar Gabriel, denen zufolge auf lange Sicht zwei Dritteln der gesetzlichen Rentner Armut drohe.

Sozialpartnermodell – ein ambitioniertes Reformkonzept

Daran gemessen präsentiert sich die im BMAS vorbereitete Reform – Arbeitstitel: „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ – als ein äußert ambitioniertes, in Teilen sogar „revolutionäres“ Reformkonzept. Zum Redaktionsschluss lagen nur Strategiepapiere sowie ein vom Ministerium in Auftrag gegebenes wissenschaftliches Gutachten vor. Ein Referentenentwurf wird für Juni 2016 erwartet.

Die Inhalte stehen aber bereits fest: Das BMAS sieht die rechtlichen Verpflichtungen für Arbeitgeber, insbesondere ihre finanzielle Einstandspflicht für gemachte Zusagen als entscheidende Bremse für eine stärkere Verbreitung von Betriebsrenten an. Auch die bilanziellen Effekte der Niedrigzinsphase haben bei den Reformüberlegungen offenbar eine Rolle gespielt. Vor allem im Durchführungsweg Direktzusage mussten zuletzt die bilanziellen Rückstellungen vielerorts massiv aufgestockt werden – zulasten von Gewinn und Investitionen.

Reine Beitragszusage qua Tarifvertrag

Geplant ist daher ein radikaler Schritt: Durch Tarifvertrag, das heißt mit Zustimmung der Gewerkschaften, soll es Arbeitgebern künftig erlaubt werden, „reine Beitragszusagen“ auszusprechen. Derartige rein beitragsorientierte Defined-Contribution-Modelle sind zwar im OECD-Ausland das vorherrschende Modell, in Deutschland aber bis heute unzulässig. Erlaubt ist nur die „Beitragszusage mit Mindestleistung“. Bei ihr muss wenigstens die Höhe der eingezahlten Beiträge – abzüglich etwaiger Beiträge für den Hinterbliebenen- oder Erwerbsminderungsschutz – bei Rentenbeginn zur Verfügung stehen.

Das wissenschaftliche Gutachten führt die Idee der reinen Beitragszusage konsequent zu Ende. Erste Überlegungen des BMAS hatten noch vorgesehen, dass zwar der Arbeitgeber von allen Verpflichtungen frei wird. Allerdings sollte die Versorgungseinrichtungen selbst eine Garantie in Höhe einer Beitragszusage mit Mindestleistung absichern. Die Gutachter sprechen sich hingegen für eine sogenannte Zielrente aus. Mit ihr soll es möglich sein, das Niveau der zugesagten Renten weiter abzusenken oder sogar ganz auf Garantien zu verzichten. Zins- oder Leistungsgarantien, so die Überlegung, zwingen die Versorgungseinrichtungen zur Geldanlage in hochsicheren Anlagen wie Anleihen oder Liquidität. Nur eine „Zielrente“ ermögliche wachstumsorientierte Anlagen, zum Beispiel in Aktien.

Risiken für Führungskräfte?

Für außertariflich eingruppierte Führungskräfte ist das Sozialpartnermodell mit vielen offenen Fragen verbunden. Meistens beruhen zumindest Teile ihrer betrieblichen Altersversorgung auf der gleichen Grundlage wie bei Tarifarbeitnehmern. Ein Beispiel ist die Firmenpensionskasse, in der alle Arbeitnehmer eines Trägerunternehmens Pflichtglieder werden. Denkbar ist auch, dass ein Tarifvertrag über eine Sozialpartnerrente eine Ermächtigung zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen enthält, die dann auch die nichtleitenden außertariflichen Angestellten eines Unternehmens erfassen könnte, nicht jedoch leitende Angestellte.
Grundsätzlich scheint das Ministerium nur Gewerkschaften zuzutrauen, durch Tarifverträge ausreichende Kompensationen für den Wegfall gesetzlicher Garantien auszuhandeln. Hier ist der Hinweis wichtig, dass auch für außertariflich eingruppierte Mitarbeiter, sowohl leitend als auch nichtleitend, eine gewerkschaftliche Vertretung und damit auch ein Abschluss von Tarifverträgen zur Altersvorsorge grundsätzlich möglich sind. Somit könnten auch Versorgungsbausteine für diesen Personenkreis konzipiert wurden, die ebenfalls den neuen Standards des „Sozialpartnermodells“ entsprechen.

Darüber müsste insbesondere dann nachgedacht werden, wenn durch eine Einführung des Sozialpartnermodells die ergänzenden Versorgungssysteme für Führungskräfte unter Anpassungsdruck gerieten. Dass es dazu kommt ist aber keineswegs zwingend. Einiges spricht dafür, dass Unternehmen aus Wettbewerbsgründen auch in Zukunft Führungskräften eine attraktive Altersvorsorge anbieten wollen und müssen. Die verbleibenden rechtlichen Verpflichtungen würden die Arbeitgeber dann akzeptieren.
Die ULA geht davon aus, dass erworbene Ansprüche von der Reform nicht erfasst sind und bereits erteilte Zusagen mit Wirkung für die Zukunft nur in begrenztem Umfang abgeändert werden können. Hier schützt auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die enge Grenze setzet. Das Sozialpartnermodell wäre somit vorrangig ein Reformmodell für Neuzusagen mit langfristiger, dann aber sehr tiefgreifender Wirkung.

Eine verlässliche Einschätzung ist nur auf Basis eines konkreten Gesetzentwurfs möglich. Sobald dieser vorliegt, wird die ULA eine Stellungnahme erarbeiten.