Stellungnahme zum Gesetz zur Umsetzung der mitbestimmungsrechtlichen Regelungen der Umwandlungsrichtlinie
1. Zusammenfassende Bewertung
Die ULA sieht in dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) für ein Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen grundsätzlich ein geeignetes Mittel, die komplexen Umsetzungsaufgaben bezüglich der Mitbestimmung der Arbeitnehmer aufgrund der europäischen Richtlinien in einem Gesetz zusammenzufassen.
Der Entwurf zur Mitbestimmung orientiert sich zudem an den bestehenden Regelungen des Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) und des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG).
Diese grundsätzliche Zustimmung der ULA hinsichtlich Umsetzungssystematik und Regelungsziel ist allerdings im Hinblick auf die Mitbestimmungsrechte der leitenden Angestellten nicht gegeben. Die leitenden Angestellten (LA) verfügen als von den übrigen Arbeitnehmern deutlich abgegrenzte Arbeitnehmergruppe mit besonderen Rechten und Pflichten gemäß u.a. des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 über einen festen Sitz auf der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat mitbestimmter Unternehmen.
Die in diesem Entwurf in Artikel 1 im MgFSG aus dem SEBG vom 29.12.2004 übernommene Verhandlungslösung mit der Bildung eines Besonderen Verhandlungsgremiums und seiner Zusammensetzung führt im Ergebnis dazu, dass leitende Angestellte in der Regel weder im Besonderen Verhandlungsgremium, noch später in den verhandelten Aufsichtsgremien vertreten sind. Dies widerspricht bezogen auf die leitenden Angestellten dem Vorher-Nachher-Prinzip und damit dem fundamentalen Rechtsgedanken der Europäischen Richtlinien, erworbene Mitbestimmungsrechte zu sichern.
In den allermeisten Europäischen Aktiengesellschaften (Societas Europaea, kurz SE) – auch mit Sitz in Deutschland! – sind heute keine leitenden Angestellten mehr in den Aufsichtsgremien vertreten. Der gleiche schleichende Rechtsverlust dürfte im Anwendungsbereich dieses Gesetzes bevorstehen. Damit steht Europa nicht für mehr oder zumindest gleiche Mitbestimmungsrechte für leitende Angestellte, sondern für deren Abbau. Die Europäische Union kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn alle Arbeitnehmergruppen gleichermaßen von ihr profitieren.
Die Akzeptanz der EU dürfte vielmehr weiteren Schaden nehmen, wenn die wichtigen und ausgewogenen Errungenschaften nationaler Mitbestimmungsmodelle nivelliert werden, was sich nach rund 15 Jahren seit der Schaffung der SE abzeichnet. Es ist daher dringend an der Zeit, die Richtlinie samt ihrer Umsetzungsgesetze auf den Prüfstand zu stellen bzw. entstandene Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die ULA fordert die politischen Entscheidungsträger auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Europäisierung der Wirtschaft nicht zum Unterlaufen der deutschen Mitbestimmungsstandards führt.
2. Weitere Begründung
Zu den einzelnen Vorschriften des Entwurfes:
Zu Teil 1, § 1 Absatz 2 MgFSG:
Als politische Stimme der Führungskräfte in Deutschland sieht sich die ULA als Partner in der deutschen Mitbestimmungslandschaft. Zur Betriebsverfassung zählen auch die parallel zu den Betriebsräten gewählten Sprecherausschüsse als Vertretungen der leitenden Angestellten. Mittels des Sprecherausschussgesetzes als wichtiger Teil der Mitbestimmung ist es dabei erfolgreich gelungen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den oberen Führungsebenen großer Unternehmen in das System der kollektiven Interessenvertretung und in den sozialen Dialog einzubeziehen.
„Das grenzüberschreitende Vorhaben darf nicht dazu missbraucht werden, Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Die Vorschriften dieses Gesetzes sowie die nach Absatz 1 zu treffende Vereinbarung sind so auszulegen, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der aus dem grenzüberschreitenden Vorhaben hervor-gehenden Gesellschaft gesichert und gefördert wird.“
Diese Vorschrift der Zielsetzung des Gesetzes artikuliert das Vorher-Nachher-Prinzip. Es liegt auf der Hand, dass die leitenden Angestellten keine realistische Chance haben, in das besondere Verhandlungsgremium gewählt zu werden. Damit sind sie von vorneherein von den Verhandlungen ausgeschlossen. Dies hat in der SE-Mitbestimmung von Ausnahmefällen abgesehen zu einem Verschwinden der leitenden Angestellten aus den Aufsichtsräten geführt.
Diese offensichtliche Verfehlung der Zielsetzung des Erhalts der Mitbestimmungsrechte aller Arbeitnehmer in Europa würde durch dieses Gesetz fortgeführt und ist daher mit europäischem und deutschem Recht unvereinbar.
Stattdessen müsste der Gesetzgeber nach den gemachten Erfahrungen das SE-Mitbestimmungsrecht reformieren und für leitende Angestellte entsprechend der deutschen Mitbestimmung einen garantierten Sitz für einen gewählten Vertreter der leitenden Angestellten sowohl im Besonderen Verhandlungsgremium als auch im späteren verhandelten oder gesetzlichen Aufsichtsgremium festschreiben. Erst dann wäre er seiner Verpflichtung nachgekommen, das vorher geltende Mitbestimmungsniveau in Deutschland auch für die neue Gesellschaftsform zu erhalten bzw. zu sichern.
Zu Teil 2, Kapitel 1, § 9 Absatz 4:
Diese ausschließlich für die leitenden Angestellten gedachte Vorschrift folgt exakt dem Vorbild des SE-BeteiligungsG. Im besten denkbaren Fall ist danach jeder siebte auf deutsche Arbeitnehmervertreter entfallende Sitz für einen leitenden Angestellten reserviert. Dies klingt zunächst nicht viel schlechter als die dem MitbestimmungsG von 1976 zugrunde liegende Regel, jeden 6. Arbeitnehmersitz im Aufsichtsrat einer mitbestimmten Gesellschaft mit einem Vertreter der leitenden Angestellten zu besetzen.
Allerdings sind beide Regelungen nicht miteinander vergleichbar. Denn in der verhandelten Mitbestimmung handelt es sich um ein zweistufiges, bzw. eigentlich sogar dreistufiges Verfahren. In der ersten Stufe wird erhoben, in welchen Ländern der EU Arbeitnehmervertretungen des Unternehmens existieren. Diese werden je nach Zahl der vertretenden Arbeitnehmer in den Ländern entsprechend eines Schlüssels berücksichtigt. Dadurch kommt es in den allermeisten Fällen erst gar nicht dazu, dass die Zahl der deutschen Mitglieder des Besonderen Verhandlungsgremiums die Zahl 7 überhaupt erreicht. Damit ist von vorneherein ausgeschlossen, dass ein Vertreter der leitenden Angestellten überhaupt dem Besonderen Verhandlungsgremium angehört. Damit ist es ebenso unwahrscheinlich, dass sich bei der harten Konkurrenzlage ein anderer Arbeitnehmer dafür einsetzt, die bei den Verhandlungen nicht anwesende Gruppe der LA für das spätere Aufsichtsgremium der Gesellschaft vorzuschlagen. Auch die Unternehmerseite im BVG wird kein Interesse daran haben, die Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite zu verkomplizieren.
Wenn eine Vorschrift in einem Gesetz für eine bestimmte Zielgruppe deren Zugang zur Mitbestimmung eigens regelt, diese Regeln wegen praktischer Unmöglichkeit deren Beteiligung aber geradezu verhindern, muss sich der Gesetzgeber fragen lassen, ob er der Zielsetzung des Gesetzes tatsächlich verpflichtet ist. Es stellt sich die Frage, ob eine von Anfang an ins Leere führende Mitbestimmungsregelung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält.
3. Abschließende Forderung
Die ULA fordert, analog des Mitbestimmungsgesetzes von 1976, in allen Umsetzungsgesetzen der Europäischen Mitbestimmungsvorschriften der Arbeitnehmer für in Deutschland tätige Unternehmen mindestens einen garantierten Sitz für einen Vertreter der leitenden Angestellten vorzusehen. Nur so kann das vorher bestehende und bewährte Mitbestimmungsniveau dieser Arbeitnehmergruppe auch in Zukunft gesichert und erhalten werden.