Über Psychologie und Macht – Interview mit Prof. Dr. Carsten Schermuly zu seinem neuen Buch

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Ob im Beruf, in sozialen Beziehungen oder in der Politik: Macht begegnet Menschen überall. In seinem neuen Buch „Die Psychologie der Macht“ untersucht Prof. Carsten Schermuly, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der ULA, wie Macht entsteht, warum sie oft unbewusst wirkt und welche Rolle sie in modernen Unternehmen spielt. Mit den ULA Nachrichten spricht er über Hierarchien, Aufstiegschancen und die Frage, ob Macht zwangsläufig korrumpiert.

ULA Nachrichten: Herr Dr. Schermuly, Ihr neues Buch beleuchtet die Psychologie der Macht. Was verstehen Sie darunter?

Schermuly: Macht ist die asymmetrische Kontrolle über geschätzte Ressourcen. Dabei kommt es zum einen maßgeblich auf die Asymmetrie an – also darauf, dass eine Person mehr von etwas hat, das eine andere benötigt. Zum anderen muss diese Ressource für beide Seiten wertvoll beziehungsweise geschätzt sein. Es gibt verschiedene Formen von Macht, etwa Informations-, Bestrafungs-oder Belohnungsmacht, charismatische Macht oder Expertise-Macht.

ULA Nachrichten: Ist Ihr Buch eine Anleitung zum Machterwerb für die Despoten dieser Welt?

Schermuly: Nein, es ist keine Gebrauchsanweisung für den nächsten „Superdiktator“. Vielmehr zeigt es, dass jede und jeder täglich Machtsituationen erlebt. Es geht darum, diese Mechanismen zu verstehen und reflektiert mit ihnen umzugehen. Gerade im beruflichen Alltag erleben wir asymmetrische Machtverhältnisse:
Wer hat Zugang zu wichtigen Informationen? Wer trifft Entscheidungen? Wer beeinflusst andere – sei es bewusst oder unbewusst? Wie verändert Macht Menschen? Studien zeigen, dass Menschen mit Macht oft weniger Mitgefühl entwickeln, impulsiver handeln und andere stärker objektivieren. Macht aktiviert das Belohnungssystem und kann somit Abhängigkeit erzeugen. Gleichzeitig nimmt die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ab.

ULA Nachrichten: Werden mächtige Menschen zwangsläufig unmoralischer? Oder unmoralische Menschen zwangläufig mächtiger?

Schermuly: Nicht unbedingt. Es gibt keine Belege dafür, dass Psychopathen eher aufsteigen. Aber sobald sie in Machtpositionen sind, können die beschriebenen Effekte einsetzen. Deshalb sind Kontrolle und Reflexion entscheidend. Wichtig ist, eine Umgebung zu schaffen, in der auch mächtige Personen kritisches Feedback erhalten – beispielsweise von ihrem familiären Umfeld oder den Kollegen – und ihre Handlungen entsprechend reflektieren.

ULA Nachrichten: Wie sieht es mit Frauen in Machtstrukturen aus?

Schermuly: Frauen sind in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert. Nur drei bis vier Prozent derjenigen, die den Aufsichtsratsvorsitz- oder CEO-Posten in Börsenunternehmen bekleiden, sind weiblich. Dabei zeigen Studien, dass Frauen insgesamt erfolgreichere Führungsstile praktizieren. Doch informelle Netzwerke und Beförderungsmechanismen benachteiligen sie häufig. Interessanterweise sind die Unterschiede beim Machtzugang zwischen Männern und Frauen in Laborstudien nur gering. Wenn hier längere Diskussionen geführt werden, werden Frauen kaum seltener zur Führungskraft gewählt oder ernannt.

ULA Nachrichten: Liegt das an einem von Männern geprägten System?

Schermuly: Teilweise. Strukturen, die von einer bestimmten Gruppe geschaffen wurden, reproduzieren sich oft selbst. Wenn man das ändern möchte, muss man gezielt Fördermechanismen hinterfragen und diversifizierte Netzwerke aufbauen. Eine Herausforderung ist dabei auch, dass etablierte Macht häufig ungern abgegeben wird.

ULA Nachrichten: Was können Unternehmen tun?

Schermuly: Führungskräfte sollten die psychologischen Effekte von Macht verstehen. Transparente, strukturierte Beförderungsprozesse auf allen Hierarchieebenen und kritische Reflexion sind wichtig. Zudem sollten Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, die empowernd wirken und ein innovationsfreundliches Umfeld fördern.

ULA Nachrichten: Ihr Buch beschreibt auch „empowermentorientierte“ Führung. Was ist das?

Schermuly: Es bedeutet, Macht zu nutzen, um andere zu stärken – sie also zu „empowern“. Menschen mit psychologischem Empowerment erleben Sinn, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz in ihrer Arbeit. Das steigert Arbeitszufriedenheit, Innovationskraft und Identifikation mit dem Unternehmen. Wer Mitarbeitende ermutigt und einbindet, schafft ein produktives Umfeld. Empowermentorientierte Führung hat nachweislich viele positive Effekte: Sie reduziert psychologische Belastungen, erhöht die Leistungsbereitschaft und fördert kreatives Denken. Letztlich kann sie auch für die Führungskraft selbst bereichernd sein, da sie langfristig stabilere und loyalere Teams schafft.

ULA Nachrichten: Kann jeder diesen Führungsstil erlernen?

Schermuly: Ja, definitiv. Es geht um konkrete Verhaltensweisen und bewusste Entscheidungen. Allerdings muss sich dieser Stil auch lohnen, etwa durch passende Aufstiegsmechanismen.
Es reicht nicht aus, Mitarbeitende zu empowern, wenn die Strukturen für Beförderungen nur die Netzwerkarbeit belohnen.

ULA Nachrichten: Welche Erkenntnis aus Ihrem Buch würden Sie den Abgeordneten des neu gewählten Bundestags mitgeben?

Schermuly: Passt auf, was Macht mit Euch macht. Beobachtet, wie sie Euer Verhalten und Erleben verändert. Wählt Menschen zu Vorsitzenden, die verantwortungsvoll
mit Macht umgehen können. Und dann kümmert Euch darum, dass der Öffentliche Dienst genug Empowerment bekommt, also Sinn, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz erlebt. Das hilft auch der Demokratie.

 

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Prof. Dr. Carsten Schermuly ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der ULA und Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH University in Berlin (carsten.schermuly@srh.de).