Vertragsauflösung: Erzwingung durch unzulässige Freistellung?
Arbeitgeber dürfen nicht durch eine Freistellung Druck auf Arbeitnehmer ausüben, um sie zu Gesprächen über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zu zwingen. Das hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein klargestellt.
Eine als geschäftsführende Oberärztin bei einer Klink beschäftigte Arbeitnehmerin, die auch wissenschaftlich und als Hochschullehrerin tätig war, hatte auf vertragsgemäße Beschäftigung geklagt, nachdem sie von ihrem Arbeitgeber freigestellt worden war. Zuvor war die Klink von einem neuen Chefarzt übernommen worden, der zeitgleich mehrere Oberärzte und einen Assistenzarzt mitgebracht hatte, was wiederum eine personelle Überbesetzung nach sich zog. In der Folgezeit kam es zu Abgängen aus dem alten Klinikteam und zu Spannungen zwischen dem neuen Chefarzt und der Klägerin. Zwischenzeitlich wurde über eine Versetzung der Arbeitnehmerin in eine andere Abteilung verhandelt, zu der diese jedoch nur unter Konditionen bereit gewesen wäre, die der Chefarzt nicht akzeptierte. Stattdessen wurde ihr eine Beschäftigung in einer anderen Abteilung als Assistenzärztin mit reduzierter Vergütung angeboten. Während einer Erkrankung entfernte die Klinik die Funktion der Arbeitnehmerin als Bereichsleiterin aus dem Organigramm der Klinik.
Am ersten Tag nach der Arbeitsunfähigkeit übergab ein Vorstandsmitglied des Klinikums zusammen mit dem Chefarzt ein Freistellungsschreiben für die Dauer etwaiger Urlaubsansprüche und sonstiger Freizeitausgleichsansprüche an die Klägerin. Die Freistellung sollte zudem auch im Anschluss daran aufrechterhalten bleiben, „insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung beziehungsweise Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses oder für den Fall, dass eine – vorübergehende – Tätigkeit aus betrieblichen Gründen notwendig ist.“ Zudem musste die Arbeitnehmerin Mitarbeiterausweise, Zugangsberechtigungen, Laptop, Datenträger, Visitenkarten und Schlüssel abgeben und ihr Account im System der Klinik wurde gelöscht, ebenso ihre Einträge in der Telefonliste und im Urlaubsplaner. Durch die Sperrung des Zugangs konnte die Klägerin auch nicht mehr auf einen auf dem Server der Klinik liegenden persönlichen Ordner zugreifen, der eigene Dateien enthielt, die beispielsweise den Forschungsbereich, aber auch ihre anderweitigen Aktivitäten betrafen, unter anderem die Aufgabe als Strahlenschutzbeauftragte der Klinik. Die Arbeitnehmerin leitete daraufhin ein auf vertragsgemäße Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin gerichtetes einstweiliges Verfügungsverfahren ein. Sie trug vor, dass sie infolge der Freistellung und der in diesem Zuge erfolgten Entfernung aus den Systemen der Klinik beruflich nicht mehr kommunizieren konnte, was erhebliche Auswirkungen auf ihre berufliche, insbesondere auch wissenschaftliche Tätigkeit gehabt habe. Zudem erleide sie durch die Freistellung und die Beeinträchtigung ihrer Kommunikation einen massiven Reputationsschaden. Das Arbeitsgericht gab der Klägerin recht.
Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied, dass die Klinik nicht befugt war, den arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch einseitig für Verhandlungen über die Aufhebung oder Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses zu suspendieren (Urteil vom 6. Feburar 2020, Aktenzeichen: 3 SaGa 7 öD/10). Die LAG-Richter stellten klar: Es ist rechtlich unbeachtlich, ob es bei einem Chefarztwechsel „üblich“ ist, dass der „neue Chef“ das Ärzteteam insgesamt anpasst und es in seinem Ermessen stehen soll, mit welchen Oberärzten und Assistenzärzten er zusammenarbeiten möchte. Der Chefarzt, der mit der Arbeitnehmerin nicht mehr zusammenarbeiten wollte, sei nicht der Vertragsarbeitgeber, allenfalls der disziplinarische Vorgesetzte. Vielmehr sei die Klinik als Arbeitgeber rechtlich für die Einhaltung der Vorgaben des Arbeitsvertrages und die korrekte Ausübung des Direktionsrechts unter Beachtung billigen Ermessens verantwortlich und könne sich nicht ihrer durch gesetzliche Spielregeln und Grenzen festgelegten Verantwortung unter Hinweis auf andere Beschäftigtengruppen entledigen.
Demgegenüber werde das allgemeine Beschäftigungsinteresse der Klägerin noch dadurch verstärkt, dass sie arbeitsvertraglich neben der Tätigkeit in der Krankenversorgung auch in der Wissenschaft und in der Forschung tätig sein musste. Durch die erzwungene Freistellung von einem Tag auf den anderen habe die Klinik die Arbeitnehmerin in allen drei Bereichen ausgeschaltet, ohne dass diese sich etwas habe zuschulden kommen lassen, so das LAG. Vielmehr habe der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Arbeitnehmerin einseitig freizustellen, zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen missbraucht. Kein Arbeitnehmer sei rechtlich verpflichtet, Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages durchzuführen, was die Klinik mit der Freistellung jedoch durchzusetzen versucht habe.
VAA-Praxistipp
Das LAG hat mit dem deutlich formulierten Urteil die Grundsätze bestätigt, die das Bundesarbeitsgericht dazu aufgestellt hat. Demnach ist die Teilnahme an Gesprächen über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich freiwillig und kann nicht durch das Direktionsrecht erzwungen werden. Wenn ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis beenden will, bleibt ihm nur – soweit die Voraussetzungen dafür vorliegen – die Kündigung oder die Änderungskündigung.