Zukunft der Pflegeversicherung: Mehr Eigenvorsorge und betriebliche Lösungen nötig
Beim Pflegegipfel Anfang Februar 2024 haben Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft mehr private und betriebliche Vorsorge für die Pflege gefordert. Ihre Empfehlung: kapitalgedeckte Zusatzversicherungen als ergänzende Säule zur Gesetzlichen Pflegepflichtversicherung. So würden die Soziale Pflegeversicherung finanziell entlastet und die hohen Kosten für Pflegebedürftige nachhaltig abgesichert. An der vom PKV-Verband, vom Deutschen Führungskräfteverband ULA sowie von der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen ausgerichteten Hybridveranstaltung waren insgesamt 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer persönlich in Berlin dabei sowie rund 300 Gäste digital zugeschaltet.
Die große Mehrheit der Deutschen (80,7 Prozent) glaubt nicht, dass sie durch die Gesetzliche Pflegeversicherung im Bedarfsfall ausreichend finanziell abgesichert sind. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Civey-Instituts im Auftrag des PKV-Verbands. Um die hohen Pflegeeigenanteile bezahlbar abzusichern, plädierte deshalb der Vorsitzende des Expertenrats „Pflegefinanzen“ Prof. Jürgen Wasem für die Einführung einer obligatorischen, kapitalgedeckt finanzierten Zusatzversicherung („Pflege-Plus“). Sie soll einen automatischen Inflationsausgleich (Dynamisierung) bieten, Kinder beitragsfrei stellen sowie Rentnerinnen und Rentner zum halben Beitrag versichern. Laut Wasem liegt der Ball nun im Feld der Politik: „Es liegt ein Vorschlag für eine verpflichtende, mit konkreten Beiträgen hinterlegte Zusatzversicherung auf dem Tisch, die die Eigenanteile an den Pflegekosten sozial abfedert und generationengerecht finanziert.“
Neben privaten Vorsorgeprodukten gibt es inzwischen auch zahlreiche betriebliche Angebote. Sie treffen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf großes Interesse: 75 Prozent sehen eine vom Arbeitgeber angebotene betriebliche Pflegeversicherung (bPV) positiv, ergab die Civey-Umfrage. Besonders gut kommen solche Zusatzleistungen bei den Jüngeren an (88 Prozent bei den 18- bis 29-Jährigen). 55 Prozent halten eine bPV für attraktiver als ein Diensthandy oder ein Ticket für den Nahverkehr. 35 Prozent der Befragten finden eine betriebliche Pflegeversicherung sogar besser als eine Gehaltserhöhung.
Die Geschäftsführerin des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) Petra Lindemann betonte: „Betriebliche Pflege-Vorsorgelösungen sind eine tarifpolitische Antwort auf den demographischen Wandel.“ Damit ließen sich viele Menschen gegen das Pflegerisiko absichern. Der Chemiebranche kommt hier eine Vorreiterrolle zu. Seit 2021 sind durch die tarifliche Einigung der Sozialpartner mittlerweile über 440.000 Beschäftigte über ein betriebliches Modell im Pflegefall mit monatlich bis zu 1.000 Euro abgesichert.
„Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Pflegekosten im Alter ab“, hob ULA-Vizepräsidentin Susanne Schebel in ihrer Begrüßung hervor. „Jeder sollte daher zusätzlich privat vorsorgen.“ Die passenden Vorsorgewege müssen aus Sicht der Führungskräfteverbände vielfältig gestaltet sein. „Betriebliche Pflegezusatzversicherungen können wegweisende Lösungen sein. Diese sollten dabei allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gleichermaßen zugutekommen. Hierfür wollen wir gemeinsam werben.“
Für mehr Eigenverantwortlichkeit in der Pflegevorsorge plädierte der Direktor des PKV-Verbands Florian Reuther: „Die Politik wäre nun gut beraten, für die betrieblich erprobten Versicherungslösungen gute Rahmenbedingungen zu setzen und die von den Experten empfohlene Vorsorge für die Pflegeeigenanteile auf den Weg zu bringen.“ Noch sei Zeit dafür, ergänzte der Vorsitzende der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG) Prof. Volker Ulrich. Weil das Pflegerisiko anders als das Krankheitsrisiko vor allem ein Hochaltersrisiko darstelle, sieht Ulrich als geeignete Lösung für den Ausbau der Pflegevorsorge vor allem eine kapitalgedeckte und damit generationengerechte Finanzierung des Pflegerisikos.
Beim Pflegegipfel wurden die Empfehlungen der Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft kontrovers diskutiert. In einer „Politischen Runde“ waren Politikerinnen und Politiker aus den Bundestagsfraktionen der Ampelkoalition sowie der CDU/CSU zu Gast. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion Christine Aschenberg-Dugnus hob hervor, dass bei der künftigen Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung vor allem jüngere Generationen nicht überlastet werden dürften. Eine demografiefeste Finanzierung sei nur mit ergänzenden, kapitalgedeckten Bausteinen realisierbar.
Dem stimmte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Tino Sorge zu. Für ihn müsse die Pflegeversicherung ebenfalls auf ein breiteres Fundament gestellt, das heißt durch weitere Säulen ergänzt werden. Geeignet dafür seien sowohl private als auch betriebliche Pflegezusatzversicherungen, die Sorge allerdings auf freiwilliger Basis und nicht verpflichtend anbieten will.
Auch Heike Baehrens, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sieht in betrieblichen Lösungen durchaus Potenzial. Tarifliche Einigungen wie CareFlex, der arbeitgeberfinanzierten Pflegezusatzversicherung aus der Chemieindustrie, bezeichnete sie als „wertvolle Ergänzungen“ zur gesetzlichen Pflegeversicherung.